Super Nintendo – Erinnerungen an eine fast mystische Videospielkonsole

Von allen Videospielkonsolen, die mich im Leben begleitet haben, gibt es nur ein paar wenige, zu denen auch so etwas wie eine tiefere Bindung aufgebaut wurde. Die meisten waren für mich Gebrauchsgegenstände, die kamen und irgendwann wieder gingen. Jede Konsole hatte freilich ihren Reiz, ihre starken und ihre schwachen Seiten. Sowie immer eine Handvoll Games, die ihr Geld durchaus wert waren. Und dann gab es das SNES (Super Nintendo Entertainment System), welches genau in die goldene Zeit später Jugend fiel. Und allein deshalb schon gute Karten als Anwärter zum Kultgerät hat. Aber da war rückblickend noch mehr. Ein Zusammenspiel gut abgestimmter Technik, Robustheit und eine überragend große Anzahl an einzigartigen Spielen. Viele davon faszinieren mich noch heute. Und beweisen, dass auch mit relativ wenig Aufwand viel Spielspaß möglich war. Also, Staub wegpusten, einschalten und ab in die Zeit der Steckmodule, 2D-Sprites und unverwüstlichen Kabelcontroller.

Super Nintendo Entertainment System (SNES)

Mein Super Nintendo Entertainment System (SNES) mit dem Repro-Modul „Secret of Mana 2“

Das SNES ist tatsächlich die einzige Konsole aus den frühen Neunzigern, die ich noch heute besitze. Inzwischen etwas angegilbt, aber voll funktionstüchtig. Selbst die alten Controller arbeiten weiterhin exakt, obwohl etliche Wurstfinger in den Jahren da rübergerutscht sind. Und die Gamepads nicht nur einmal mit voller Wucht herausgerissen wurden, weil irgendein Depp über das Kabel stolperte. Bei einigen Spielmodulen muss man vorher zwar etwas rütteln und pusten, damit sie irgendwann starten. Für ein fast 30 Jahre altes Elektrogerät ist aber alles erstaunlich gut gealtert. Wenn ich im Vergleich dazu an die Mimosenhaftigkeit der zweiten Xbox denke. Die musste man nur streng anschauen und befürchten, dass sie jeden Augenblick rot losblinkt. Wie dem auch sei, inzwischen sind die Konsolen ja wieder etwas robuster fabriziert. Meine PS4 beispielweise ist in den letzten fünf Jahren nicht einmal abgestürzt. Einschalten und wie damals sofort loslegen ist aber schon lange nicht mehr.

Es ist das gängige Procedere. Die Kiste hochfahren, sich durchs Menü wählen, installieren, laden und warten. Wenn man Glück hat, war es das. Wenn nicht, wird noch einmal dieselbe Datenmenge als Update heruntergeladen. Auch hat man sich daran gewöhnt, dass die PS4 regelmäßig für einige Minuten die Systemsoftware aktualisiert. Tja, moderne Konsolen brauchen Zeit und Pflege. Immerhin spricht das Gerät noch nicht mit mir. Und ich hoffe inständig, dass Amazon auch nie bei Sony einsteigt. Nicht falsch verstehen, ich mag die PS4. Ich sehe auch keinen echten Grund für den Umstieg auf die PS5. Nicht nur, weil sie eh ausverkauft ist, sondern vor allem, weil ein Großteil der aktuellen Spiele arg in Richtung opulent inszenierter, aber dennoch seelenloser Kommerzschrott geht. Vor 30 Jahren war dieser verklemmte Fokus auf die Technik noch kein Thema. Da ging es darum, aus der vorhandenen Hardware ein Spiel herauszupressen, das begeistert. Und nicht mit einem flachen Spiel zu demonstrieren, was die Technik so alles kann – wenn man von „Rise of the Robots“ (1994) mal absieht.

Steinalte SNES-Technik, die trotzdem begeisterte

Das Technikblatt eines SNES liest sich wie ein aus der Zeit gefallenes Überbleibsel des Elektro-Mittelalters. Mit einer Taktfrequenz von maximal 3,58 MHz bewegt sich der Prozessor in ähnlichen Sphären wie der 1982 erschienene Intel 80286. Statt CGA-Augenkrebs war man immerhin so weit und konnte mithilfe einer PPU (Picture Processing Unit) 256 Farben (aus einer Palette von 32.768 Farben) gleichzeitig darstellen. Und ein weiterer Grafikprozessor skalierte, rotierte und verzerrte 2D-Sprites, um einen räumlichen Effekt zu erzeugen. Was bei Laien den Eindruck einer echten 3D-Fähigkeit des Systems erweckte. Akustisch bot Sonys „SPC700“-Soundchip in Verbindung mit einem DSP (Digitaler Signalprozessor) acht Stereokanäle, Filter und auch die Möglichkeit zum Abzuspielen von Samples. Das alles haut einen jetzt nicht vom Hocker. Und wenn man bedenkt, dass die meisten Spielemodule mit nur einem halben Megabyte (4 Mbit) an Speicher auskommen mussten, braucht man nicht Keynes zu heißen, um zu erahnen, dass man als Entwickler damals überaus ökonomisch arbeiten musste.

Nintendo wäre aber nicht Nintendo, wenn nicht noch irgendwo ein heißes Eisen im Feuer gewesen wäre. Der große Vorteil der Module war nämlich nicht nur die fehlende Ladezeit, sondern vor allem die Möglichkeit, zusätzliche Chips mit zu verbauen. Mit dem „SA-1“ hatte man gleich dieselbe CPU wie im SNES nochmal auf dem Modul – und konnte so eine Taktfrequenz von über 10 MHz erreichen. Andere Chips dienten der Dekomprimierung von Bildmaterial oder zur verktorbasierten Berechnung von 3D-Objekten. Und neben den gängigen 2- oder 4-Mbit-Modulen gab es ja auch die Möglichkeit, welche mit 16-, 24- oder gleich 32-Mbit zu verwenden. Die verbauten Extras waren in der Herstellung zwar teurer, aber bei einem damaligen Verkaufspreis zwischen 99,- und 149,- DM pro Spiel fiel das kaum ins Gewicht. Das wohl größte je veröffentlichte SNES-Spiel war übrigens „Star Ocean“, das komprimiert ganze 6 MB (48 Mbit) an Speicher belegte. Für dieselbe Datenmenge bekommen wir heute kaum mehr als eine hochauflösende Textur. Dafür lacht das SNES mit einer Leistungsaufnahme von gerade einmal 5 Watt über Grafikkarten, die alleine schon über 250 Watt verpulvern.

Herbst 1994 – mein erster Super Nintendo vom „Spielwaren-Dealer“

Zum Super Nintendo bin ich erst mit einiger Verspätung gekommen. Der kam zwar schon 1992 auf den europäischen Markt, aber die Zeit der Videospiele war da mit 16 bei mir vorbei. Uncool. So wie ein Relikt der Kindheit, das man ablegt und sich den Dingen widmet, die man als angehender Erwachsener so tut. Dazu zählten Zigaretten rauchen (damals offiziell schon ab 16) und an Wochenenden in Großraumdiskos abhängen. Da stand ich nun mit Kippe in der einen und Bacardi Cola in der anderen Hand und zuckte zu „Culture Beat“ und „DJ BoBo“ auf der Tanzfläche herum. Zwei Jahre später war „Dancefloor“ für mich Geschichte. Anstelle von Großraumdiskos ging es nun in Clubs, wo Techno und Trance bis zum frühen Morgen aufgelegt wurden. Statt Alkohol klinkte ich mir eine von diesen weißen Pillen ein, die mich für ein paar Stunden in einen „Duracell-Hasen“ mit dicken Pupillen verwandelten. Zum Runterkommen wurde in der Frühe pragmatisch die Tüte Gras geraucht.

Mit den Kifferkumpels hing ich auch unter der Woche ab. Wir philosophierten, fraßen und zockten. Videospiele waren plötzlich wieder cool. Und dann kam der erste Typ mit „Donkey Kong Country“ vorbei. Alle waren hin und weg, was das SNES hier für ein sensorisches Sperrfeuer hinlegt. Mit jedem Zug vom Bong tauchten wir tiefer in diese phantastische Welt ein. Da dämmerte mir, was ich nun unbedingt bräuchte: Eine Videospielkonsole wie einst in der Kindheit. Mit der Volljährigkeit hatte ich ja Zugriff aufs Kindersparbuch, wo um die 2000 Mark angelegt wurden, damit ich irgendwann den Führerschein mache. Statt zur Fahrschule ging ich zum Dealer und kaufte für 600 DM ein Hek (100 Gramm) feinsten Marokkaner. Das sollte für ein paar Monate Eigenbedarf reichen. Anschließend stoned zu Karstadt, um den Super Nintendo plus „Donkey Kong Country“ (aus der Spielzeugabteilung) mit nach Hause zu nehmen. Da hatte ich nun die perfekte Mischung daheim, die mich die nächste Zeit wie nichts anderes faszinieren sollte.

Super Nintendo und Röhrenfernseher – eine richtig gute Mischung

Einen alten Super Nintendo an einen modernen Flachbildschirm anzustöpseln ist keine gute Idee. Mit einem Emulator hat man zwar einigen Spielraum und kann mit Bildskalierung und CRT-Shadern so einiges rausholen. Aber nicht mit der Original-Hardware. Bei einer Standardauflösung von 256×224 Pixeln (512×448 Pixel im HiRes-Modus) würde man auf einem 4K-Fernseher faktisch Gulasch serviert bekommen, das kaum etwas mit dem gemein hat, was ein Röhrenfernseher einst darstellte. Und da hatte ich ein echtes Juwel bei mir herumstehen. Einen fast 60 Kilogramm schweren Sony Trinitron „KV-C2981 D“ (Baujahr 1991). Mit 70cm Bilddiagonale und zwei großen Seitenlautsprechern. Für damalige Verhältnisse war das enorm. Das war wahrscheinlich neben meinem im Herbst zu 95 Prozent gefüllten Grasspeicher einer der Gründe, warum die Kumpels grundsätzlich bei mir abhingen. Da saßen wir nun stundenlang vor der großen Flimmerkiste und zockten „Super Mario Kart“, „Mortal Kombat 2“ oder „Super Bomberman“.

Das war alles ziemlich spaßig, auch wenn sich mal wieder Ewigkeiten damit hinzogen, bei Mario Kart auf der „Ghost Valley“-Strecke einen neuen Rekord aufzustellen. So richtig reizvoll wurde es aber für mich, wenn ich die Bande endlich aus der Bude hatte und alleine jene Spiele genießen konnte, für die man eher Ruhe und Abgeschiedenheit braucht. Adventures und Rollenspiele wie Secret of Mana, „Super Metroid“, „Soul Blazer“ oder „The Legend of Zelda“ ließen einen in abenteuerliche Welten eintauchen. Das ging oft so weit, dass der Samstag von mir schon Tage vorher zum „Tag des Abspacens“ erklärt und minutiös verplant wurde: Morgens einkaufen und wichtige Utensilien wie Instant-Zitronentee, Mineralwasser sowie ein halbes Kilo Doppelkekse besorgen. Beim „Quick-Shop“ zwei einzelne Kippen (kosteten jeweils 30 Pfennig) für den hinzugebröselten Tabak. Danach zur Videothek und den Klassiker „Secret of Evermore“ für zwei Tage ausleihen. Daheim die Klingel abstellen, eine große Mischung anbauen, im Sessel zurücklehnen, auspusten und tief abtauchen. Ich war dann mal weg.

Fazit – Ab in den Kurzurlaub mit der letzten 2D-Konsole!

Heute, gut dreißig Jahre später, frage ich mich in meinem verlotterten Sessel, wo die Jahre geblieben sind. Vermutlich habe ich vieles einfach nur vergessen. Nur nicht den Charme alter SNES-Spiele. Denn der Super Nintendo bleibt. Vor allem, da man inzwischen auch die Spiele erfahren kann, die nie in Europa erschienen sind. Dazu zählen Meilensteine wie z. B. „Final Fantasy VI“ (1994) oder auch „Chrono Trigger“ (1995), die ich erst in den letzten Jahren spielte. Oder das japanische „Seiken Densetsu 3“, das sich als gut eingedeutschtes Repro-Modul „Secret of Mana 2“ so anfühlt, als hätte es vor 25 Jahren tatsächlich mal als PAL-Box bei Karstadt im Regal gestanden. Diese alten Spiele faszinieren noch heute und beflügeln die Phantasie. Sogar ohne Bong. Sofern man gewillt ist, sich vom Dogma zu befreien, dass nur eine riesige Datenmenge ein gutes Spiel beherbergen kann. Denn stellt man die 2 MB eines zeitlosen „Final Fantasy VI“ den 150 GB an Kitsch eines „Final Fantasy XV“ gegenüber, wird einen vieles klar. Das ist ähnlich wie im Restaurant. Je größer die Portionen, umso höher die Wahrscheinlichkeit, dass einen halbwertiger Fraß serviert wurde.

Ob nun mit der Originalhardware oder einem Emulator. Ein nostalgischer Kurzurlaub in die Welt damaliger Spielkultur bringt einen nicht nur längst vergessene Erinnerungen wieder zurück, er hat auch etwas Befreiendes an sich. Das war noch eine andere, unverdorbene und puristische Spielerfahrung. Wie schön war doch die Zeit, wo das Spiel einen nicht volllaberte, der Abspann keine halbe Stunde dauerte und man nicht erst Frisur und Bartlänge seines Charakters anpassen musste, damit das Game überhaupt startet. Tja, moderne Spiele nehmen einen gern in Beschlag. Ähnlich wie Frauen. Die wollen sich auch gleich binden und laden erstmal ihren halben Hausstand bei einen ab. Und wenn man sie braucht, hängen sie an der Strippe und sind mit kritischen Updates beschäftigt. Und hier spannt sich der Bogen wieder zum SNES. Denn auch auf das Risiko, dass mir für die folgende Aussage ein Nudelholz um die Ohren fliegt: Wenn sie denn wenigstens auch so gut altern würden – aber da hilft nach 30 Jahren dann wohl weder Rütteln noch Pusten.

Autorenbild

Autor: Dirk

Als Kind der späten Siebziger schreibt Dirk über all die Dinge, die sich in den letzten 30 Jahren für ihn verändert haben. Dabei kramt er nicht nur alte Computer- und Videospiele wieder hervor, sondern untersucht auch die alltäglichen Dinge des Daseins. Seine zentrale Frage beschäftigt sich damit, warum gewisse Dinge der Kindheit und Jugend später einen besonderen Status erhalten.

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