Japanische Rollenspiele auf der 16-Bit-Konsole waren Anfang der Neunziger in Deutschland noch ein Nischenprodukt. Klassiker wie „Final Fantasy VI“ oder „Dragon Quest V“ erschienen hierzulande erst gar nicht. Als Squaresoft dann „Seiken Densetsu 2“ im Westen als Secret of Mana herausbrachte, wurde es in großer Pappbox mit Spieleberater veröffentlicht. Zu groß waren die Zweifel, dass die Spieler mit dem Nippon-Abenteuer ihre Schwierigkeiten hätten. Das war zwar völlig unbegründet, hat aber dazu geführt, dass eine gut erhaltene und vollständige Box mit Modul und Wälzer heute einen Sammlerwert ab 150 Euro aufwärts erreicht. Und es ist ein Vorzeigebeispiel dafür, mit relativ wenig Aufwand einen Meilenstein zu erschaffen. Warum das so ist, und warum im Vergleich dazu viele moderne „Triple-A“-Spiele scheitern, soll etwas näher betrachtet werden.
Secret of Mana ist eigentlich der zweite Teil der japanischen „Seiken Densetsu“-Serie. Der erste Teil erschien 1991 unter dem Namen „Mystic Quest“ für den Game Boy. Nicht zu verwechseln mit „Mystic Quest Legend“, das 1993 als erstes „Big Box“-RPG mit Spieleberater auf dem deutschen Markt erschien. Im Herbst 1994 war es dann für Secret of Mana in Deutschland endlich so weit, und auch ich hatte dieses Modul zur Weihnachtszeit schnell in meinem SNES stecken. Was Rollenspiele betrifft, war ich seinerzeit schon erfahren, hatte auf dem PC unter anderem „Ultima VI“, „Lands of Lore“ und die „Eye of the Beholder“-Trilogie durchgespielt. Zu japanischen RPGs hatte ich bis dato kaum Kontakt. Und wenn man es genau nimmt, ist Secret of Mana auch mehr Action-Adventure als Rollenspiel.
Wie dem auch sei, ich erinnere mich noch gut, wie mich dieses Spiel wie kein anderes so schnell in seinen Bann gezogen hat. Dabei ist die Rahmenhandlung bis zum Anschlag simpel: Auserwählter Held findet durch Zufall das „Manaschwert“ und muss zusammen als Dreigestirn mit „dem Mädchen“ und „dem Kobold“ die Welt retten. So steuert man den Helden (oder eine der beiden Nebenfiguren) durch eine 2D-Welt, sammelt Erfahrung durch das Vermöbeln von Monstern und steigert Waffen- und Zauberkraft durch häufige Benutzung.
Gut, Handlung und Spielprinzip waren also recht einfach gestrickt. Das sagt aber erst einmal nichts über die Qualität des Spiels aus – Tetris war schließlich auch simpel und wurde zum Suchtspiel einer ganzen Generation. Was aber genau waren die Elemente, die Secret of Mana zum Kultspiel machten? Ein Meilenstein fällt ja nicht einfach so vom Himmel …
Gesucht wird: Rezept für Meilenstein
Um so etwas wie einen zeitlosen Meilenstein zu erschaffen, braucht es natürlich erst einmal die richtigen Zutaten. Und die haben weniger mit der zur jeweiligen Zeit aktuellen Technik zu tun. Etliche Produzenten in der Spieleindustrie sind heute offenbar dem Irrglauben verfallen, dass mit überragender Grafik die halbe Miete schon gezahlt ist. Wobei hochauflösende 3D-Modelle und realitätsnahe Lichteffekte für mich mit gelungener Optik erst einmal nichts gemein haben. Ich frage mich eh, warum in modernen Spielen so ein großer Aufwand betrieben wird, die Realität möglichst detailgetreu nachzubilden? Weil man es inzwischen kann? Oder weil es von Spielern erwartet wird? Und dann wundert man sich, dass viele Spiele nach ein paar Jahren abgehakt und vergessen sind.
Was aber genau ist ein zeitloser Meilenstein? Zeitlos bedeutet einfach, dass Entwickler ein Produkt erschaffen haben, an das man sich viele Jahre später noch gerne erinnert. Und dass dieses Produkt, trotz inzwischen veralteter Technik, nichts am ursprünglichen Reiz verloren hat. Eine Spielerfahrung, die einen fesselt, berührt und die es damals wie heute schafft, den Alltag auf eine höhere Ebene zu bringen.
Hiroki Kikuta als alleiniger Komponist
Der Soundtrack eines Spiels ist eine dieser wichtigen Komponenten, schließlich untermalt er die Spielerfahrung und trägt maßgeblich zur Atmosphäre bei. Kurioserweise wird dieser wichtige Faktor immer wieder vernachlässigt. Ich könnte etliche japanische Rollenspiele nennen, die an sich gut gemacht sind, aber ein so furchtbares Gedudel an Musik im Hintergrund haben, dass einen die Zehennägel abfaulen. Gut, Japaner haben eh einen etwas anderen Musikgeschmack – gleichzeitig fallen mir aber mit Yasunori Mitsuda, Yoko Shimomura und Nobuo Uematsu gleich drei japanische Komponisten ein, die ihr Handwerk verstehen und auch viele atmosphärisch dichte Soundtracks produziert haben.
Die musikalische Geschichte von Secret of Mana liest sich wie folgt: Als sich der damals noch unbekannte Anime-Komponist Hiroki Kikuta bei Squaresoft bewarb, schien Nobuo Uematsu als Leiter der Sound-Abteilung von seinem Probematerial wohl so angetan gewesen zu sein, dass er nicht nur seine Einstellung befürwortete, sondern man ihm auch gleich die alleinige Komposition des Seiken Densetsu 2 Soundtracks übertrug.
Vielleicht war es die große Verantwortung, die Hiroki Kikuta dazu veranlasste, keinen 08/15-Soundtrack abzuliefern. Vielleicht war es auch einfach seine Sichtweise und Professionalität. Schließlich hatte er die Wichtigkeit eines Soundtracks begriffen – als etwas, das die Spielerfahrung bereichert und man viele Stunden im Hintergrund vernimmt. Auch machte er sich gründlich mit dem SNES als „Instrument“ und dessen Eigenarten vertraut. Schließlich war Speicher damals kostbar, und jedes Sample musste genau unter die Lupe genommen werden.
Game music, particularly the background music of RPGs, offers a special musical experience to the user. Ordinarily, when we buy a new CD, we don’t continually listen to it tens or twenties of times. We listen to it a few times, take it out of the CD player, and put it on the rack. However, from the moment we put a game cartridge into a SNES, we end up listening to the game’s BGM eternally, sometimes up to 50 hours or more. This is a unique experience, like no other. Not to mention that there’s a beautiful ending awaiting us at the end of that 50 hours that touches the heart.
Hiroki Kikuta
Heraus kam ein einzigartiger Soundtrack, der noch heute seinesgleichen sucht. Vor allem wenn man bedenkt, dass alles mit einem 64 KB RAM Sony SPC700-Soundchip realisiert wurde. Hiroki Kikuta komponierte zu jeder Region des Spiels eine perfekte musikalische Untermalung, die immer passte und den Spieler ans Spiel magisch gefesselt hat.
Einfach gehaltene Märchenwelt und Spielmechanik
Die fast schon ätherische Soundkulisse verschmilzt mit einer einfach gehaltenen Spielwelt, die viele märchenhafte Züge aufweist und zu der man als Spieler sofort Zugang findet. Kein krudes und gekünsteltes Zeug, selbst Ortsnamen haben in der deutschen Version charakteristische Bezeichner wie Wasserpalast, Zwergendorf, Goldstadt oder Elfenteich. Man fühlt sich schnell an die Märchen der Kindheit erinnert. Durch die Reduktion auf das Wesentliche spielt sich vieles in der Fantasie ab.
Abgerundet wird alles durch eine Spielmechanik, die starke Ähnlichkeit zum drei Jahre später erschienenen „Diablo“ hat, dem Paten moderner Action-RPGs. Man verbringt etliche Stunden damit, den Waffenlevel einzelner Waffen bis zum Maximum zu erhöhen. Das Hochleveln der Manageister ist ebenso aufwändig und macht gleichzeitig süchtig. Durch das Verdreschen von Pilzköpfen, Tomatenmännern und Terrorenten steigt langsam der Erfahrungslevel und der Goldbeutel füllt sich. Mit den erworbenen Goldmünzen kauft man sich dann in Läden oder bei „Raffi, dem Wucherkater“, immer bessere Ausrüstungsgegenstände mit possierlichen Namen wie Tulpenjacke, Waschbärmütze und Dämonenweste.
Fazit: Würden sich nur mehr an diese alten Tugenden erinnern
So schafft also ein ganze zwei Megabyte großes Spiel aus den frühern Neunzigern das, was man bei modernen Spielen leider so oft vermisst. Und damit meine ich nicht nur die einschlägigen Grafikblender – optisch opulente Werke, die spieltechnisch völlig versagen und mehr einem interaktiven Film gleichen. Die gab’s ja auch schon damals.
Ich erinnere gerne an „The 7th Guest“ (1993), eines der ersten CD-ROM Spiele, das vollgepackt mit Filmmaterial und Audiodateien auf zwei CDs in XXL-Verpackung für 179,- DM über den Ladentisch ging. Als Spieler staunte man erst einmal über die SVGA-Optik. Nach der ersten Begeisterung erkannte man aber ziemlich schnell, dass man einen interaktiven (und auch noch langweiligen) Film mit ein paar sporadisch eingestreuten Rätseln erworben hatte. Man fühlte sich wie einer der deutschen Touristen in den frühen Achtzigern, die an italienischen Raststätten einen originalverpackten VHS-Recorder supergünstig erworben hatten und sich daheim über einen Karton mit Backsteinen ärgerten.
Aber selbst wenn man die Blender einmal beiseite nimmt, fällt auf, dass es trotz der enormen Anzahl an Neuveröffentlichungen nur noch ganz selten Spiele gibt, die einen wirklich fesseln und berühren. Kurz gesagt, in die man regelrecht versunken ist. Der Markt ist zu einer Ödnis der Dutzendware verkommen. Selbst Spieleserien, auf die man sich früher blind verlassen konnte, haben zuletzt maßlos enttäuscht. Ein „Final Fantasy XIII“ kommt nicht einmal ansatzweise an das heran, wofür die Serie früher bekannt war: atmosphärisch dichte Meisterwerke mit hohem Wiederspielwert. Das hat Squaresoft (heute Square Enix) damals deutlich besser hinbekommen. Vielleicht sollten sie einfach mal ein altes Secret of Mana aus dem Firmenarchiv wieder hervorkramen?
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